24. September 2018:

Nach einer sehr anstrengenden Autofahrt landen wir wieder in der Großbaustelle Polen. Wer an deutschen Autobahnbaustellen verzweifelt, muss unbedingt die Straßen in Polen kennenlernen. Sehr schnell schätzt man sein Heimatland und bekommt einen anderen Blick auf alltägliche Dinge. Wir fahren 530 km von Kaunas nach Danzig und suchen zuerst den citynahen Wohnmobilplatz. Er befindet sich auf dem Gelände des akademischen Sportzentrums der technischen Universität. Wir benötigen einen Schlüssel für das Rolleingangstor und einen Adapter für den Stromanschluss. Beides erhalten wir im Sportzentrum und danach richten wir uns für den Abend ein.

Heute Morgen könnten wir im Sportzentrum duschen, aber uns reicht Zähneputzen im Wohnmobil. Vom Platz ist es nicht weit bis in die Innenstadt. Es gibt ein gut ausgebautes Straßenbahnnetz, trotzdem nutzen wir die Räder und bewegen uns unabhängig schon vor 9 Uhr in der prächtigen Innenstadt. Danzig ist die Hauptstadt der Woiwodschaft Pommern und mit rund 460.000 Einwohnern die sechstgrößte Stadt des Landes.

Die vielen Wandmalereien erinnern daran, dass Danzig bereits sehr früh eine wichtige Hansestadt war. Die Stadt unterlag schon immer multikulturellen Einflüssen. Einst von Goten besiedelt, bildeten damals kaschubische (westslawische) Fischer, polnischer Adel, Handwerker aus Lübeck, Schotten und skandinavische Seeleute eine kulturelle und wirtschaftliche Gemeinschaft.

Wir durchqueren das Grüne Tor und schauen links von der Langen Brücke auf den historischen Hafen an der Mottlau. Hier war früher das Zentrum der Stadt, Schiffe aus der ganzen Welt legten an. Das Krantor, ein Hafenkran aus dem 15. Jhd., ist eins der bekanntesten Wahrzeichen Danzigs. Über den Hafen hinweg kann man das Glasdach vom Museum des Zweiten Weltkriegs sehen.

Am gotischen Milchkannentor, das aus dem niedrigen “Sahnekännchen” und der größeren “Milchkanne” besteht, kehren wir um und radeln zurück in die Innenstadt. Wir können kaum glauben, dass Danzig im zweiten Weltkrieg zu 90% zerstört wurde. Die Stadt war nahezu dem Erdboden gleich, ein ganzes Volk fast ausgetauscht und doch hat man nicht ein neues Danzig gebaut, sondern in Anlehnung an die Vorkriegszeit gnadenlos restauriert.

Am Neptunbrunnen mit dem dahinter liegenden Artushof bleiben wir etwas länger stehen. Die Sonne lässt den Brunnen im richtigen Licht erstrahlen und Neptun symbolisiert mit seinem Dreizack die Verbundenheit der Stadt zur Ostsee. Die Bedeutung des Artushofes wird mir erst nach unserer Reise bei der Recherche bewusst. Der Name geht auf die Tafelrunde von König Artus zurück und bekannt ist der Hof für seine großen Gelage der damaligen Bruderschaften aus Kaufleuten und Adligen.

Das Rechtstädtische Rathaus steht am Langen Markt und ist als großartiges Bauwerk ein Anziehungspunkt für viele Touristen. Die reichen Kaufleute ließen sich damals nicht lumpen, um ein prachtvolleres Rathaus zu bauen als das der normalen Bürger in der Altstadt. Vom über 80 m hohen Turm soll man einen tollen Blick über die Stadt haben. Leider waren wir nicht oben und haben auch nicht im Innern das Städtische Museum oder das Glockenspiel kennengelernt. Das werden wir bei einem Wiedersehen nachholen.

Vor dem Rathaus lernen wir Hans kennen. Er spricht uns an, weil er hört, dass wir deutsch miteinander sprechen. Hans ist ehemaliger Deutscher, 87 Jahre alt und hat mit seiner Mutter Danzig nach dem Krieg nicht verlassen. Er erzählt uns viel über die damalige und auch heutige Zeit. Ihm steht eine Rente von umgerechnet 300 Euro zu, die Hälfte davon muss er für die Miete ausgeben. Schon beim Erzählen kramen wir in unseren Taschen und stecken ihm etwas Geld zu. Danach fotografiere ich weiter und merke, wie er die nächsten deutschen Touristen mit denselben Worten anspricht und auf ein paar Euro hofft. Es ist OK.

Die Langgasse ist gut besucht, bleibt aber überschaubar, weil vielleicht der eine oder andere Regenschauer überrascht. Wir sind dem Wetter entsprechend ausgestattet und lassen uns nicht so schnell vertreiben. Schöne Geschäfte laden ein und ich komme am Kauf einer baltischen Wandfigur nicht vorbei.

Das Langgasser Tor, auch goldenes Tor genannt, bildet das westliche Ende der Langgasse und war früher der Eingang zur Stadt. Der erste Blick aus weiter Ferne täuscht optisch, denn die dahinter gelegene Turmspitze gehört zum Stockturm am Kohlenmarkt.

Auf dem Goldenen Tor thronen insgesamt symbolische acht Statuen, die Weisheit, Gerechtigkeit, Frömmigkeit, Eintracht, Freiheit, Frieden, Reichtum und Ruhm verkörpern. Das reich verzierte Gebäude trägt die lateinische Inschrift: “Eintracht lässt die kleinen Staaten gedeihen, während Zwietracht die großen Staaten zugrunde richtet.” Wie gut doch die alten Weisheiten noch in die Gegenwart passen…

Am Kohlenmarkt durchqueren wir den Stockturm, der erst als Verteidigungsturm und später als Kerkerturm mit Peinkammer im 17 Jhd. bekannt war. Die Peinkammer nutze man als Folterkammer, Gerichtssaal und Gefängnis. Hinrichtungen oder Verbrennungen waren damals ein gesellschaftliches Highlight. Heute kann man noch einige Folterinstrumente sehen und das dort beherbergte Bernsteinmuseum zeigt eine Vielfalt vom “Gold der Ostsee”.

Die Straße vom hohen Tor, entlang durch das goldene Tor, auf der Langgasse, vorbei am Rechtstädtischen Rathaus, weiter am Langen Markt bis zum Grünen Tor wird als Königsstraße bezeichnet. Die 1 km lange Strecke diente früher zahlreichen Paraden, ist das Aushängeschild der Stadt und heute die berühmteste Fußgängermaile Danzigs.

Etwas abseits vom Kohlenmarkt steht der Millenium-Baum aus Metall, der 1997 zur Tausendjahrfeier von Danzig geschaffen wurde. Der Stamm des Baumes ist fünfzackig und soll damit eine offene Hand als Symbol für die Solidarität unter den Menschen darstellen.

Die Marienkirche ist eine gotische Hallenkirche. Sie soll mit einer Länge von 105, einer Breite von 66 und einer Turmhöhe von 80 Metern die größte Backsteinkirche nördlich der Alpen sein. In ihr haben 25.000 Besucher Platz und sie wurde erst nach dem zweiten Weltkrieg katholisch. Es wird gerade viel restauriert, außen wie innen, jedoch kommen wir in den Genuss eines Orgelspiels.

Bei einem Rundgang durch die helle große Kirche trau ich meinen Augen nicht, denn diese Uhr kenne ich. Ein ähnliches Modell existiert in der Marienkirche von Rostock. Einen Unterschied gibt es zwischen den beiden astrologischen Uhren, die in Rostock funktioniert, diese hier nicht.

Die barocke Königskapelle war ursprünglich das Gotteshaus der Katholiken. An ihr vorbei kommen wir zur Markthalle, der Hala Targowa. Sie liegt an der Grenze zwischen Rechtstadt und Altstadt und wurde Ende des 19. Jahrhunderts erbaut. Rechtstadt bedeutete damals die “richtige Stadt”, in der die reichen Bürger und Kaufleute lebten. In der Altstadt wohnten dagegen die slawischen Fischer und Handwerker.

Als wir die Markthalle hinter uns lassen, riecht es wunderbar nach Kuchen und wir entdecken einen kleinen Laden, vor dem eine Menschenschlange steht. Nicht nur Touristen, sondern Handwerker und weitere Einheimische schmachten nach den leckeren warmen Donuts – Ciepło Pączki, gefüllt mit Rafaello, Bounty, Snickers, Nutella… Ein einzelner leckerer Donut kostet nicht mal einen Euro und ich kann der süßen Versuchung nicht widerstehen. Später werden wir die Köstlichkeit bei einer heißen Tasse Kaffee verdient genießen.

Wir fahren weiter bis zum altstädtischen Rathaus und streifen das Gebäude der Großen Mühle, das zu den größt erhaltenen Wirtschaftsbauten des Mittelalters gehört. Sie stammt aus dem 14. Jhd., war damals die größte Mühle Europas und hat mit 18 Mühlrädern täglich 200 Tonnen Getreide gemahlen. Vor dem Rathaus sehen wir ein Denkmal von Johannes Hevelius, einem im 17. Jhd. bedeutenen Bierbrauer, Astronomen und Bürgermeister der Stadt Danzig.

Zurück am Wohnmobilplatz geben wir im Sportzentrum die Schlüssel zurück und zahlen für die vergangene Nacht 50 Zloty. Wir setzen noch heute die Fahrt fort und wollen gegen Abend Stettin erreichen. Mal sehen, was die Straßen so hergeben.

3 thoughts on “Handelszentrum Danzig

  1. Ich schließe mich den Zeilen von Torsten an. Für mich sind die Bilder von Danzig wieder einmal eine Erinnerung an eine schöne Reise Pommern – Danzig – Marienburg – Ostpreußen, die ich vor Jahren mit Heide und einer netten Reisegruppe machen durfte.

    1. Lieber Hubert, wir werden noch eine Menge Stoff zum Austausch haben, wofür ich sehr dankbar bin. Bis bald und Liebe Grüße.

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