25. September 2018:

Langsam nähern wir uns dem letzten Ziel und machen Halt in der Geburtsstadt meines Vaters. Zu spät stelle ich mir die Frage, warum er gerade in dieser Stadt geboren wurde. Seine Mutter, meine Großmutter wohnte und arbeitete in Küstrin – 130 km von Stettin entfernt. Der Rest der Familie lebte in Meseritz – 150 km von Stettin entfernt. Meseritz schenken wir am Ende unserer Reise die größte Aufmerksamkeit. Viele Fragen aus der Vergangenheit meiner Oma beschäftigen mich und begleiten uns auf dieser Reise.

Wir erreichen Stettin, die Stadt an der Odermündung, in den Abendstunden. Wir suchen uns ein Plätzchen auf dem großen Marina-Campingplatz am Südufer des Sees Dabie. Den See mit seinem kleinen süßen Hafen entdecke ich erst am nächsten Morgen.

Bis zum Zentrum sind es nur einige Kilometer. Wir nehmen trotzdem das Wohnmobil, um nach dem Stadtbesuch die Reise Richtung Meseritz weiter fortzusetzen. Das Wetter ist einladend, jedoch fehlt uns ein wenig die Orientierung in der Stadt. Zum Ende unserer Tour werden wir in der Vorbereitung der Stadtbesichtigungen müder und überlassen einiges dem Zufall.

In der Nähe der Technischen Universität finden wir an einer großen viel befahrenen Straße einen geeigneten Parkplatz für unser Fahrzeug, gut einsehbar und schnell wiederzufinden. Später wird sich zeigen, dass wir alles richtig gemacht haben. Wie gewohnt geht es mit den Rädern in die Innenstadt. Als Hafenstadt verdankt Stettin noch heute dem Hafen seinen Wohlstand.

Das Hafentor (= Berliner oder Brandenburger Tor) befand sich zu Zeiten der Erbauung außerhalb der Stadt und gehörte zur Festung Stettins. Die Innenschrift ist interessant und so heißt es dort:

„Friedrich Wilhelm, König von Preußen, kaufte das Herzogtum Stettin, welches den brandenburgischen Kurfürsten übertragen und den Herzögen von Pommern unter ihre Lehnhoheit zurückgegeben wurde und welches im späteren Verlauf durch das Schicksal an Schweden gekommen war. In gerechten Verträgen und zu einem gerechten Preis erwarb er es bis zur Peene und verleibte es seinem Staate wieder ein. Im Jahre 1719 und ließ dieses Brandenburger Tor erbauen.“ (Wikipedia – Berliner Tor Stettin – aberufen am 16.06.2019)

Wie üblich besuchen wir einige Gotteshäuser von innen, in irgendeiner Kirche von Stettin erhielt mein Vater die Taufe. Was hatte meine Großmutter nur vor? Sie war erst 20 Jahre alt, legte so viele Kilometer zurück und gebar ihren ersten unehelichen Sohn in einer völlig fremden Stadt. Musste sie diesen Weg gehen, um in der Heimat nicht bloßgestellt zu werden, um die Ehre der Familie zu retten oder wollte sie sogar ihr Kind abgeben? Ich habe keine Ahnung, ob ich jemals darauf Antworten finden werde.

Die im 14. Jhd. gegründete Jakobskathedrale ist ein backsteingotisches Bauwerk, wurde einige Male zerstört, immer wieder aufgebaut und zählt zu den größten Kirchen Pommerns. Sie schmückt das Panorama Stettins aus großer Entfernung. Papst Johannes Paul II. nahm die Kathedrale 1983 in den Rang einer “Basilica minor” auf.

Mit vielen Rätseln im Kopf irren wir eher durch Stettin, Thomas behält die Orientierung und steuert die richtigen Schwerpunkte an. Als nächstes erreichen wir das Renaissanceschloss, den ehemaligen Sitz der Pommerschen Herzöge. Auch dieses Schloss prägt das Stadtbild von weitem und gehört zur Skyline Stettins. Heute dient das Schloss als Kulturzentrum. Konzerte, Theatervorstellungen, Ausstellungen, die Oper und auch die Touristeninformation sind hier unter einem Dach.

Im Hof können wir eine über 300 Jahre alte astronomische Uhr bewundern. Die Stettiner bekamen damals diese Uhr von der schwedischen Regierung für den Kampf gegen die brandenburgische Belagerung geschenkt. Die Augen auf dem Ziffernblatt folgen dem Zeiger und im Mund ist das aktuelle Datum zu sehen. Der Narr sitzt oben auf dem Ziffernblatt und schlägt mit seinen Hämmerchen alle 15 Minuten.

Unterhalb des Schlosses entdecken wir das Alte Rathaus, in dem heute das Museum für Stadtgeschichte beheimatet ist. Daneben finden wir den Heumarkt mit seinen einladenden Cafés. Mein Handy klingelt und unser Wohnmobilvermieter ist dran. Er wüsste von der Polizei, dass wir in Stettin sind und fragt nach unserem Parkplatz. In Stettin wurden zwei deutsche Wohnmobile geklaut und nun will die Polizei abgleichen, ob wir unser Wohnmobil an der besagten Stelle geparkt hätten. Ein zweiter Anruf gibt Entwarnung, unser Fahrzeug ist kein Diebesgut.

Zwar sind wir erleichtert, trotzdem treten wir die Rückfahrt zum Parkplatz an. Der Diebstahl von Kalifornien sitzt mir noch in den Knochen, das brauche ich so schnell nicht wieder. Ein paar Sehenswürdigkeiten nehmen wir noch mit, aber den Rest erkunden wir dann mit dem Wohnmobil. Am Rande des Heumarktes steht ein spätgotisches Gebäude, das im 16. Jhd. der Kaufmannsfamilie Loitz gehörte, die ebenfalls in Danzig und Lüneburg Niederlassungen hatten. Heute befindet sich dort eine Kunstschule.

Die Stettiner Post ist sehr beeindruckend. Das Gebäude der früheren Pommerschen Oberpostdirektion wurde zwischen 1901 und 1905 im Stil der Neogotik erbaut. Schade, dass wir keine Zeit für einen Blick nach innen haben. Bei uns schließt eine Postfiliale nach der anderen und was genau macht man hier anders oder hinken sie der Zeit einfach hinterher?

An der Basilika St. Johannes der Täufer (ebenfalls eine “Basilica minor”) komme ich nicht vorbei und werde für meine Neugierde belohnt. Thomas wartet draußen und passt auf die Räder auf. Der Innenraum der Kirche fasziniert mit seinem Sternenhimmel an der Decke. So etwas sieht man eher selten und beim Recherchieren finde ich darüber gar nichts heraus. Bis 1931 war die Basilika die einzige römisch-katholische Kirche am Ort.

Vorbei geht es an Plattenbauten, aber auch an Altbauten, die hoffentlich nicht abgerissen werden. Die Balkone sind sicher noch Originale und wunderschön, wenn man sich den Zustand wegdenkt. Ein toller Kontrast und wieder nur ein Zufall auf unserer Route zum Parkplatz.

Wir satteln wieder um vom Rad aufs Wohnmobil und besuchen zum Abschluss die Hakenterrasse, benannt nach dem damaligen Bürgermeister, der nach dem Abriss der Stettiner Festung von 1902-1905 eine Aussichtsterrasse bauen ließ. Die Terrasse liegt 19 Meter über dem Oderufer und bietet einen fantastischen Blick auf die Oder und den Hafen. Oben befinden sich das Nationalmuseum und das ehemalige Regierungsgebäude.

Ein etwas aufreibender Tag nähert sich dem Ende und wir fahren noch heute nach Meseritz. Die letzten zwei Tage wollen wir dort nutzen, um mehr über die Familien Klemke und Klinke herauszufinden. Ich bin gespannt, ob das gelingt und danke Thomas für deine Geduld und Anteilnahme.

2 thoughts on “Stettin an der Oder

  1. Man denkt gar nicht, was es für schöne Plätze in direkter “Nachbarschaft” gibt! Wozu weit fliegen, wenn man für wenig Geld so schöne Orte anschauen, abfahren und bewundern kann! Tolle Bilder Mama und ich bestaune, wie du immer alles recherchierst, damit alle sofort wissen, was man auf den Bildern von dir zu sehen bekommt!

    1. Oh jetzt erwischst du mich aber, denn Stettin bedarf einer letzten Überarbeitung, als ob du mir aus der Ferne über die Schulter schaust. Und du kennst mich so gut, hast selbst einen Drang zum Perfekten. Ich hab‘ dich lieb und würde mich auf eine nächste gemeinsame Reise freuen.

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