19. September bis 20. September 2018:

Willkommen in Lettland

hier sagt man guten Tag – labdien
hier sagt man danke/bitte – paldies/lūdzu

Auf dem Campingplatz lernen wir weitere deutsche Urlauber mit ihrem Camper kennen, die von einer Weiterfahrt nach Riga abraten. Die Straßen wären so schlecht, wir sollten lieber über eine Fährverbindung nachdenken. Ein wenig lasse ich mich beeinflussen und denke über andere Möglichkeiten der Weiterfahrt nach. Aber nein, wir wollen genauso fahren und halten am alten Plan fest.

In unserem Reiseführer lesen wir über die drittgrößte Stadt Lettlands. Liepajas Altstadt soll mit Jugendstil- und Bürgerhäusern sehr sehenswert sein. Allerdings sieht man der Stadt auch nach vielen Jahren immer noch an, dass sie als militärisches Sperrgebiet unter den Sowjets gelitten hat. Wir finden keine Zeit zum Aussteigen und sammeln im Vorbeifahren ein paar Eindrücke.

Unsere Fahrt verläuft weiter an der Ostseeküste entlang, manchmal liegt Land oder Wald zwischen Strand und Straße und manchmal sind wird dem Küstenstreifen unglaublich nah. Wir halten ohne nachzudenken, sind allein am Strand und schenken der Ostsee unsere Gedanken.

Kurz vor Jürkalne verlassen wir die Küstenstraße und schlagen den kürzesten Weg Richtung Riga ein. Neben den vielen schönen Alleen bekommen wir einen kleinen Eindruck von hiesiger Landwirtschaft, wobei wir nicht nur große Gerätschaften sehen. Wir beobachten viele Menschen bei der Kartoffelernte und Pferde mit einem dahinter gespannten Pflug sind keine Seltenheit.

Übernachtung in Jürmala

Mit dem Wohnmobil wollen wir auf keinen Fall in der City von Riga stehen. Wir orientieren uns mit einem baltischen Campingführer und haben Plätze in Jürmala, einem Vorort von Riga, gefunden. Am Tor eines gut bewerteten Platzes hängt ein großes handgeschriebenes Schild “Sorry, we are closed.” Gut vernetzt ist in den baltischen Ländern noch nicht angekommen, auf Handy- oder Mail-Kontakt reagiert ausschließlich niemand.

Wir finden im Ort einen zweiten Platz, denn Jürmala ist im Sommer voll von Strandurlaubern und der Bedarf an Campingplätzen war vor ein paar Wochen sicher sehr viel größer. An der Rezeption finden wir niemanden, nur ein älterer Mann gibt uns zu verstehen, dass wir bleiben können. Er schläft in einem Container neben der Rezeption und trotz Alkoholfahne macht er einen vertrauenswürdigen Eindruck.

WC und Dusche sind so lala, aber die Strandnähe von nur 5 Minuten ist genial. Auf dem Platz haben wir Nachbarn aus Stendal, die uns gleich über einige Details informieren. Es gibt eine gute Verbindung mit Minibussen, die stündlich für wenig Geld nach Riga fahren. Für heute haben wir jedoch genug und wollen die letzten abendlichen Sonnenstrahlen am Strand noch mitnehmen.

Jürmala wird gern als die “lettische Riviera” bezeichnet und ist der größte Küstenstreifen der baltischen Staaten. Die Entscheidung, dem Strand einen Abendbesuch abzustatten, war goldrichtig. Die Bilder sprechen für sich allein ;-).

Mit dem Minibus nach Riga

Die lettische Hauptstadt wurde 1201 von Bremer Kaufleuten gegründet und ist heute mit 700.000 Einwohnern die größte Stadt im Baltikum. Zur Bevölkerung gehören 43% Letten, 42% Russen sowie weißrussische, polnische und ukrainische Minderheiten. Jürmala hat eine gute Verkehrsanbindung Richtung Riga und unser nette Security-Typ gibt uns morgens den Hinweis für die preiswerten Minibusse, die auch an den festen Bushaltestellen halten.

An der Haltestelle in Jürmala müssen wir hartnäckig winken, damit der Minibus auch hält und der Fahrer macht einen genervten Eindruck, Dienstleistung ist hier schlicht unbekannt. Der Bus wird voll bis unters Dach und Sauerstoff immer weniger. Eine Mitfahrerin ahnt, welche Haltestelle für uns die touristisch beste ist und gibt uns ein Zeichen zum Aussteigen.

Wir sind dankbar und finden uns sofort zurecht. Dank einiger Vorbereitungen finden wir unser erstes Highlight, das Katzenhaus. Einem damalig reichen Kaufmann wurde die Aufnahme in die Gilde (Kaufmannsvereinigung) verwehrt und er ließ das Hinterteil zweier Katzen mit Richtung auf die Gilde auf dem Dach errichten. Sein Protest hatte Erfolg, er wurde aufgenommen und ließ die Katzen drehen.

Am Livenplatz treffen wir auf das Haus der Gilde und die Ausstellung “ES ESMU LATVIJA” (Ich bin Lettland). Lettland feiert 100 Jahre Unabhängigkeit. Ich betrachte dies etwas skeptisch, denn ein halbes Jahrhundert befand sich das Land unter Sowjetherrschaft und konnte sich erst 1990 unter Gorbatschow wieder lösen. 1918 wurde die Republik Lettland ausgerufen und das ist natürlich ein Jubiläum wert.

Wir schlendern weiter zum Domplatz und sehen an einer ehemaligen Abrisswand eine beeindruckende Artwork-Zeichnung. Darauf steht übersetzt: “Wer sagt, dass es nicht möglich ist, sollte die Person, die es tut, nicht unterbrechen.” Mit Jesus hört das Unmögliche auf zu existieren und wird Wirklichkeit. (danke für die Übersetzung, Dani)

Vorbei am imposanten Gebäude der ehemaligen Rigaer Börse, in der heute ein Kunstmuseum untergebracht ist, gehen wir weiter zum Dom. Die Altstadt ist ohne Autoverkehr, Cafés laden zum Verweilen ein und alles Sehenswerte erreichen wir wunderbar zu Fuß.

Der im 13. Jhd. errichtete Dom ist die größte baltische Kirche. Rigas erster Bischof, Albert von Buxthoeven, veranlasste den damaligen Bau. Wir können sein Denkmal im Domhof bewundern und besichtigen den Kreuzgang, in dem Funde archiologischer Ausgrabungen ausgestellt sind.

Im Dom finden wir einen überdimensionalen Wetterhahn, er zierte früher die Domspitze. Die Orgel wurde 1884 eingeweiht und ist heute die letzte romanische und einzige ihrer Größe, die mechanisch funktioniert. Der Organist benötigt zwei weitere Assistenten, um sie zu bedienen.

Vor dem Ordensschloss schauen wir in die katholische Kirche Mater Dolorosa. Im Innenraum findet emsiges Treiben statt, anscheinend schaut auch hier Papst Franziskus vorbei.

Wir bummeln durch einige Läden und an diesem speziellen Wollgeschäft komme ich nicht so einfach vorbei. Die Art der Wolle ist sehr speziell. Schon in Island habe ich jeden bewundert, der Artikel aus besonders kratziger Wolle kaufte.

Die “Drei Brüder” sind eine Attraktion von Riga und alle Touristen strömen durch die kleinen Gassen, um die drei Häuser des Mittelalters zu sehen. Warum sie als Brüder bezeichnet werden, bleibt ein Rätsel, denn sie stammen aus unterschiedlichen Jahrhunderten und Epochen.

An der St. Petri Kirche begrüßen uns die Bremer Stadtmusikanten, ein Geschenk der Partnerstadt Bremen aus dem Jahr 1990. Im Brüder Grimm Märchen schauen die Tiere durch ein Fenster auf ein großes Gelage. Hier jedoch wird ein Blick durch den “Eisernen Vorhang” dargestellt mit einem überraschenden Blick in die neue freie Welt.

Ein bekannter Höhepunkt in Riga ist das Schwarzhäupterhaus am Rathausplatz, einst das große Haus der Gilde. Rathaus und Schwarzhäupterhaus entstanden im 14. Jhd. Der Platz wurde im zweiten Weltkrieg mit seinen historischen Gebäuden zerstört, Ende 1990 begann man mit der Rekonstruktion dieser Gebäude, was den Letten außerordentlich gelungen ist.

Nicht weit vom Fluss “Mütterchen Düna”, einem Strom Richtung Ostsee, steht die technische Universität Rigas. Sie wurde Mitte des 19. Jahrhunderts als Polytechnikum gegründet und die damalige Unterrichtssprache war Deutsch.

In der Mitte der Stadt streckt das kupferne Mädchen “Milda” in einer Höhe von über 40 Metern drei goldenen Sterne in den Himmel. Die Sterne stehen für die Regionen Kurland, Livland und Lettgallen. Die Innenschrift des Freiheitdenkmals bedeutet “Für Vaterland und Freiheit”. Die dargestellten Figuren am Sockel verkörpern geschichtliche Ereignisse und die Ideale der Letten. Wir kommen gerade richtig und sehen die Ehrenwache vorbeimarschieren.

Bevor wir unsere Tour in Riga beenden, möchten wir einige der berühmten 800 Jugendstilhäuser in der Neustadt sehen. Ganze Straßenzüge überraschen uns mit prunkvollen Bauwerken, ein Haus schöner als das andere.

Zahlreiche Fassaden werden gerade detailliert restauriert, wir schauen in alle Richtungen und entdecken immer wieder etwas neues. Der russische Architekt Michail Eisenstein hat mit den erbauten Häusern zu Beginn des 20. Jahrhunderts einen großen Fußabdruck hinterlassen.

Auf dem Weg zurück zur Bushaltestelle haben wir noch Zeit für die Christi-Geburt-Kathedrale, das größte orthodoxe Gotteshaus der baltischen Staaten. Trotzdem die Kathedrale zwei Weltkriege überstanden hat, wurde sie in der Sowjetzeit geschlossen und zum Planetarium und Restaurant zweckentfremdet. Mir bleibt nur ein Blick am Eingang vergönnt, für mehr müsste ich mir ein Kopftuch besorgen.

Die Zeit in Riga ist vorbei und unsere Reise geht heute noch weiter nach Estland. Vor uns liegen weniger als 300 km und ich habe uns den Solar-Caravan-Park in Lemmetsa als nächste Bleibe ausgesucht.

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