22. November bis 6. Dezember 2018:

Jetzt habe ich Mut für Asien und werde mit Nepal mein traumhaftes Reisejahr abschließen. Nepal zählt 29 Millionen Einwohner und liegt zwischen den großen Giganten China und Indien, unterhalb von Himalaya und Mount Everest. Die reichhaltige Kultur hat hier ihren Zauber bis in die Gegenwart bewahrt, überall begegnet man den Zeugnissen der hinduistischen und buddhistischen Tradition. Uralte Tempelanlagen geben einen Einblick in die Welt fremder faszinierender Religionen. Die Reise habe ich über Klosterreisen gebucht und bin dankbar, dass bis in jede kleinste Einzelheit alles organisiert ist.. Die ersten zwei Tage verbringe ich in Kathmandu und danach geht es für 10 Tage in ein Kloster von Namo Buddha.

Überall heißt es „Namaste“ = „Ich grüße das Göttliche in dir.“ Sogar am Flugplatzgebäude sind die grüßenden Hände zu finden. Beim Umsteigen in Delhi treffe ich auf deutsche Reisegruppen, deren Ziel ebenfalls Kathmandu ist. Damit wird die Orientierung einfacher und mit zwei Prenzlauern komme ich nett ins Gespräch.

Vom Himalaya grüßt Nepal

Beim Boarding sagt eine Angestellte, dass ich einen Platz auf der richtigen Seite hätte. Ich verstehe erst nicht. Dann erklärt sie, dass ich von der linken Seite den besten Blick auf das Himalaya Gebirge habe. Darüber freue ich mich sehr und bekomme von oben einen Vorgeschmack auf die atemberaubende Natur.

Ankunft in Kathmandu

hier sagt man guten Tag – namaste
hier sagt man danke/bitte – swagatam/danyabaad

Nun heißt es, ein Visum beantragen. Zum Glück bin ich mit meinem Online-Antrag mit Passbild bestens vorbereitet und erspare mir das Ausfüllen der Formulare vor Ort. An einem Schalter bezahle ich eine Visumsgebühr von 23 Euro und danach geht es „nur noch“ durch die Kontrolle. Hier ist Geduld gefragt, es dauert sehr lange und keiner weiß, warum. Einfach tief durchatmen.

Ich hoffe, dass mein Abholservice noch nicht weg ist und draußen treffe ich auf unzählige Fahrer, die alle Namensschilder von Reisenden hoch halten. Nach einigem Suchen entdecke ich meinen Namen und den Reiseguide, der mich zum Hotel bringt. Ich werde mit dem Begrüßungstuch „Khata“ überrascht und freue mich über den herzlichen Empfang.

Willkommen im Summerhill Guesthouse

Die Fahrt durch den nepalesischen Verkehr ist abenteuerlich, ein Fahren ohne für mich erkennbare Regeln, undenkbar in Deutschland. Es funktioniert, alle hupen und niemandem passiert etwas. Die Straßen sind eine große Herausforderung für jedes Fahrzeug und der Zustand des Fahrzeugs eine Herausforderung für jeden Fahrer. Im Hotel angekommen, freue ich mich auf mein Zimmer und ein warmes Essen.

In meinem Bett entdecke ich eine Heizdecke. Diese lerne ich zu schätzen, denn es wird sehr kalt in der Nacht. Im Gastraum bestelle ich mir das typisch nepalesische Essen „Dhal Bhaat“ mit Chicken und es schmeckt köstlich. Später leisten mir noch drei Schweizer und zwei Deutsche Gesellschaft, dabei hole ich mir gleich Tipps für die nächsten Tage und trinke mein erstes Everest-Bier.

Mit Palden über den Durbar Square

Heute lerne ich nach dem Frühstück meinen Reiseguide Palden und seinen Fahrer kennen. Ich werde abgeholt zu einer Tagestour durch Kathmandu. Wir kommen schnell ins Gespräch und erzählen uns auf der Tour von unseren Familien und unseren Lebensvorstellungen. Palden kann sehr gut Deutsch und die Stunden verlaufen in freundschaftlicher Atmosphäre.

Zahlreiche Tempel offenbaren sich in ihrer Schönheit und die jahrhundertealten filigranen Schnitzereien sind wahre Kunstwerke. Von Palden lerne ich etwas über die drei Baustile Pogoden, Shikara und Stupa und die drei Gottheiten Brahma = Schöpfer, Vishnu = Erhalter und Shiva = Zerstörer und Erneuerer.

Überall hängen orangefarbene Blumenkränze, gemacht aus vielen Tagetes (Studentenblumen). Man kann sie an der Straße kaufen. Die Kränze werden zur Begrüßung oder zur Götterverehrung benutzt.

An vielen Plätzen und heiligen Stätten halten sich Saddhus (Asketen, Wanderheilige) auf. Sie haben sich vom Kastensystem und weltlichen Leben losgesagt. Sie sind an ihren farbenprächtigen Gewändern und Bemalungen schnell zu erkennen. Den Lebensunterhalt erbetteln sie sich mit Porträtaufnahmen neben den Touristen oder sagen einem für einige Rupees die Zukunft voraus.

Wir stehen im Innenhof des Tempel-Palastes, in dem die Kumari lebt. Sie ist eine Kindgöttin, vielleicht gerade mal vier Jahre alt und schaut für 20 Sekunden aus den oberen Fenstern. Sie soll die Inkarnation einer hinduistischen Göttin sein und darf das Gebäude nicht verlassen. Nach ihrer ersten Menstruation verliert sie ihren Göttinnenstatus und eine andere Kumari wird bestimmt. 32 körperliche Merkmale und ein entsprechendes Geburtshoroskop sind dafür ausschlaggebend. Leider habe ich kein Foto für euch, das Fotografieren der Kumari ist verboten. Übrigens will niemand eine Kumari heiraten, wer will schon gern eine ehemalige Göttin zur Frau haben.

Das Erdbeben von 2015 hat großen Schaden angerichtet. 8.000 Menschen sollen ihm zum Opfer gefallen sein, uralte Tempel wurden zerstört und der Wiederaufbau wird viele Jahre in Anspruch nehmen. Nepal erhält dabei internationale Unterstützung und an allen Ecken wird emsig restauriert.

Ich denke, welch schönen Obstkorb trägt der Nepali vor uns auf dem Kopf, sicher ein Geschenk. Palden erklärt mir, dass der Korb sehr scharf ist, er beinhaltet viele verschiedene Chilischoten.

Wenn man Tauben nicht mag, ist es mitunter ziemlich unangenehm auf den Plätzen. Die auf den Stufen sitzenden Frauen verkaufen sogar Taubenfutter, das Füttern soll gutes Karma bringen.

Bevor es gleich mit dem Auto weitergeht, bleiben wir noch vor Bhairav, der schrecklichsten Form der Gottheit Shiva stehen. Hierbei soll es sich um ein Tempelbild aus dem 5. oder 6. Jhd. handeln. Einer Legende nach diente der damalige Tempel als oberster Gerichtshof in Nepal, da die Menschen glaubten, dass die Person, die vor der Skulptur gelogen hat, durch die Macht des Herrn tot wäre.

Pashupatinath

Wir erreichen eine der wichtigsten Tempelanlagen des Hinduismus. Hier kommen Hindus aus ganz Südostasien zusammen. Der Zutritt in das Innere des Haupttempels ist den Nichthindus verboten. Ich ahne noch nicht, welche Zeremonie hier täglich vollzogen wird.

Den Indern ist der Ganges heilig, den Nepalesen der Bagmati. Am heiligen Fluss werde ich Zeuge von Totenverbrennungen. Alles schnürt sich in mir zusammen und Tränen steigen hoch. Palden beruhigt mich und erinnert an Wiedergeburt, das wäre nur der Abschied von einer Lebensstation.

Bevor der Leichnam auf einem Scheiterhaufen verbrannt wird, legen ihn männliche Angehörige in ein orangenes Tuch gewickelt mit den Füßen zum Fluss. Die Füße werden mit dem Wasser umspült. Die Familie verabschiedet sich und verteilt Blumen, Geld und rote Farbe über dem Leichnam. Nach der Verbrennung wird die Asche dem Fluss übergeben, um den natürlichen Kreislauf zu schließen.

Oberhalb des Flusses sitzen die meisten Schaulustigen auf den Stufen der vielen kleinen Schreine, die alle mit dem Shiva Lingam (die älteste Darstellung für Gott und das Göttliche, aber auch die Symbolisierung der weiblichen und männlichen Pole) ausgestattet sind. Ich bin erstaunt über die Toleranz der Nepalesen, die sich in aller Öffentlichkeit von ihren Lieben verabschieden.

Stupa von Boudhanath

Boudhanath liegt im Nordosten von Kathmandu, an der Straße, die zur tibetischen Grenze führt. Kathmandu ist zu über 80% hinduistisch und nur 10% buddhistisch geprägt. Boudhanath ist damit das größte buddhistische Heiligtum im Kathmandutal.

Wir zahlen am Eingang 400 Rupie Eintritt und betreten nach einigen Schritten das Tamang Gompa. Alle drehen an der übermannshohen Gebetsmühle, steigen anschließend die Treppen hoch zu einem riesigen Balkon und zum Abschluss auf die Dachterrasse des Klosters. Von dort haben wir einen fantastischen Ausblick.

Man befindet sich hier in „Klein Tibet“, viele Menschen umrunden im Uhrzeigersinn den 40 Meter hohen Stupa mit der Gebetsformel (Mantra) „Om mani padme hum“ (ausgesprochen: om mani peme hung), was so viel wie Kostbarkeit, Reinheit und somit gutes Karma bringen soll. Natürlich komme ich am Kauf einer Gebetsmühle und einer Klangschale nicht vorbei.

Der Stupabau soll bis in das 5. Jhd. n. Chr. zurückliegen, diente früher als Grabstätte und ist heute eher eine tibetische Kultstätte. Der Grundriss gleicht einem Mandala (Meditationskreis). Der Stupa ist von einer Ringmauer umrundet, an der viele Gebetsmühlen bewegt werden. Über der Halbkugel ist die Harmika (Würfelform), deren rechtes Auge für Weisheit, das linke Auge für Erleuchtung und die fragezeichenähnliche (im nepalesischen eine 1) Nase für den einzig richtigen Weg stehen. Die allsehenden Augen Buddhas an den vier Seiten des Würfels sind eine Besonderheit in Nepal.

Patan und Fahrt nach Namo Buddha

Beim Frühstück im Summerhill unterhalte ich mich mit Claus, einem deutschen Architekten, der im Auftrag von Caritas am Wiederaufbau in Nepal beteiligt ist. Gebaut wird mit Unterstützung der nepalesischen Regierung und einheimischen Handwerkern. Klingt interessant und nach einem für die Bevölkerung gewinnbringenden Projekt. Ein junger Mann stellt sich als Pratik vor und möchte mich zur heutigen Tour nach Patan abholen. Kathmandu und Patan sind nicht weit voneinander entfernt, nur durch den Fluss Bagmati voneinander getrennt.

Im Jahr 1000 war Patan mit 100.000 Einwohnern die zehntgrößte Stadt der Welt. Unser erster Stopp ist wieder ein Durbar Square mit dem Mangal Bazar, dem Königspalast und Gedächtnistempeln. Wieder offenbaren sich prachtvolle Bauwerke, ich erkenne die erlernten Baustile und stelle auch meinem zweiten Reiseguide neugierige Fragen. Von ihm erfahre ich, dass diese umweltfreundlichen Schalen aus den Blättern vom Salbaum gemacht sind. Gefaltete Blätter mit Kurkuma oder Reis dienen als Einladung zur Hochzeit.

Unweit vom 10 Meter hohen Kumbheswar Tempel, einem fünfstöckigen Pagodenbau, liegt der Königspalast. Alle Eingänge und Durchgänge sind mit aufwändigen Schnitzereien versehen und stellen wie so oft verschiedene Gottheiten dar. Ich kann mich nicht satt sehen und bewundere die Kunstwerke. Zum jährlichen hinduistischen Dashain Fest wird vor diesem Tor ein junger Büffel geopfert, das Blut ist an der Treppe noch sichtbar. Dashain ist das wichtigste Nationalfest in Nepal, bei dem der Sieg der Götter über das Böse gefeiert wird.

Der erste Eingang führt in den Sundhara Chowk mit dem ehemaligen königlichen Bad. Pratik erklärt mir, dass das Bad über 15 Jahre geschlossen war, da Figuren des Brunnens gestohlen wurden. In der Mitte ist dies links und rechts von den vergoldeten Figuren ganz klar zu erkennen. Ich lerne einiges von verschiedenen Götterfiguren und nun entdecke ich allein, um welche es sich bei den vergoldeten handelt. Dort, wo Garuda, das Reittier auftaucht, ist Vishnu nicht weit entfernt. Auf dem Reittier Garuda sitzen Vishnu und seine Gemahlin Lakshmi.

Gegenüber des Königspalastes steht der Krishna Tempel. Alles an ihm, auch die kleinsten Verzierungen, sind aus Stein. Als wir vor ihm stehen, wird geläutet. Pratik sagt, das wäre wie beim Nachbarn. Bei den Göttern muss man auch klingeln, damit sie wissen, dass ein Gläubiger vor der Tür steht.

Das Kathmandutal wurde einst von den Malla-Königen beherrscht, die ihren Ursprung in Indien finden. Im 15. Jhd. wurde das Tal unter drei Malla-Söhnen aufgeteilt, nämlich in Kathmandu, Patan und Bhaktapur. Die Rivalität unter den Brüdern ist noch heute in vielen Bauwerken zu erkennen. In allen drei Stadtteilen haben sie sich mit der Malla-Säule ein Denkmal gesetzt, von der sie hoch oben über ihre Reichtümer schauen können.

Darauf habe ich wirklich gewartet. Hinter dem Palast befindet sich der Bhandarkhal Garden. Dort bekommen wir endlich die Menschen zu Gesicht, die in feiner Kleinstarbeit die uralten Segmente restaurieren, um die Kultstätten nach dem Erdbeben wieder aufzubauen. Nur am Farbunterschied erkenne ich altes und neues Holz. Das Fachwissen in diesem Handwerk entspringt nicht etwa einer Ausbildung, sondern wird innerhalb der Familie weitergegeben.

Unterwegs kommen wir zufällig an einer Thangka Schule vorbei. Thangka ist ein Malstil, der seit ein paar Jahrhunderten in der Kunstszene Nepals bekannt ist. Ich möchte mir die entstehenden Kunstwerke näher anschauen, schon nimmt uns ein Lehrer in Beschlag. Er führt uns in die erste Etage, um uns die religiöse Bedeutung der Mandalas näher zu bringen. Das Mandala zeigt das gesamte Universum mit Himmel, Erde und Unterwelt. Zu spät erkläre ich, dass ich kein Mandala kaufen möchte, damit endet die Vorstellung und wir verabschieden uns höflich.

Zum Abschluss besichtigen wir den Kwa Bahal, den „Goldenen Tempel“, eines der eindrucksvollsten buddhistischen Zentren im Kathmandutal. Der Tempel stammt aus dem 12. Jhd. und die Fassaden bestehen aus vergoldetem und versilbertem Kupfer. Im Innenhof steht ein reich verzierter dreistöckiger Tempel. Der Hauptpriester des Kwa Bahal ist ein höchstens 12jähriger Junge, der dem Tempel 30 Tage dient bevor ihm ein weiterer Junge folgt.

Überall treffen wir auf Schulklassen, aber diese Kinder kommen aus einem Kindergarten und lächeln ohne Schwierigkeiten zur Freude aller Schaulustigen in die Kamera – süß. Wir verlassen Patan und brauchen etwa 90 Minuten bis nach Namo Buddha, einem buddhistischen Pilgerort und meinem nächsten längeren Aufenthalt. Während der Autofahrt erblicken wir die Gipfel vom Himalaya und haben Zeit für ein Foto. Am Kloster angekommen verabschiede ich mich für die nächsten 10 Tage. Danach wird Pratik mich wieder abholen.

Ankunft im Thrangu Tashi Yangtse Kloster

Das Kloster liegt auf einem Hügel umgeben von zahlreichen Terrassenfelder und ist ein Ort besonderer Stille. Alles was benötigt wird, muss aus dem Tal gebracht werden. Es besteht ein Wassermangel, da die Grundwasserquelle mit dem Erdbeben 2015 zerstört wurde. In der Pension wird das Wasser aus einer etwa 3 Kilometer entfernten Quelle gebracht. Eine der Mönche, Tashi, erklärt mir das Wesentliche wie Essens- und Meditationszeiten, zeigt mir mein Zimmer und die Dachterrasse. Er steht für weitere Fragen zur Verfügung.

Das Zimmer ist in Ordnung. Ich habe zum Glück zwei Bettdecken, denn die nächtliche Kälte kriecht durch alle Ritzen. Der nächste Morgen empfängt mich an meinem Fenster mit einem atemberaubenden Sonnenaufgang und einem wunderbaren Gesang. Das hilft mir beim Ankommen und schenkt Energie.

Die Mönche haben normalerweise nicht genug Wasser zum Kochen, Waschen oder für die Toiletten. Bei Regen und Monsun wird Wasser in Behältern gesammelt und bergauf gepumpt. Bei der Anreise ist das Wasser genau mein Thema, denn es befindet sich nur noch ein Rest Trinkwasser in meiner Flasche. Leitungswasser ist ein bekanntes No-Go und erst am nächsten Morgen finde ich eine Cafeteria direkt vor dem Kloster und war noch nie so glücklich über vier volle Wasserflaschen.

Ich wohne im hinteren Teil des Klostergeländes und habe in der zweiten Etage ein Eckzimmer. Mit mir kommen noch weitere Deutsche im Gästehaus unter und ich erfahre, dass LIDL Nepalreisen organisiert. Die Reisegruppe macht mir mit ihrer deutschen Lebendigkeit etwas Angst, denn die erhoffte Ruhe und Abgeschiedenheit ist weit weg. Tashi, der Mönch, beruhigt mich, die Gruppe würde morgen abreisen.

Gästehaus

Wir befinden uns auf ca. 1800 Meter und ich erkunde langsam meine Umgebung. Das Areal ist riesig, die Unterkünfte der Mönche, eine Schule, eine Großküche, Speisesaal, zwei Gästehäuser, die Meditationshalle und eine Klinik. Ich werde nicht alles erschließen können, mein Tagesablauf reduziert sich auf Mahlzeiten und  Meditation.

Wohnhaus der Mönche
Schule
Speisesaal und Küche

Meditationen finden morgens um 5.30 Uhr und nachmittags um 15.30 Uhr statt. Puja nennt man die Meditation, die ein tägliches Ritual im religiösen Alltag darstellt. Meine erste Puja in der Meditationshalle zusammen mit über 100 Mönchen werde ich nie vergessen. Die Gebete dienen der Konzentration des Geistes und Öffnung des Herzens.

Mit einem bis in die Ferne tönenden Gong wird zur Puja aufgerufen. In der prachtvollen Meditationshalle sitzen wir an niedrigen Tischchen und können den immer wiederkehrend gesprochenen Mantras der Mönche andächtig lauschen. Trommeln, Paarbecken und verschiedene Blasinstrumente wie Kegeloboen, Naturtrompeten und Schneckenhörner geben dabei den Rhythmus an.

Um die Meditationshalle herum befinden sich zahlreiche Gebetsmühlen, die von allen Mönchen und Besuchern ständig bewegt werden. Dafür wird ordentlich und vielleicht mit einem Gebet im Herzen geputzt. Langsam gewöhne ich mich an den einfachen Tagesablauf, lasse das Klosterleben und die Natur auf mich wirken.

300 Mönche leben im Kloster zusammen. 150 Jungs haben hier eine Chance auf Bildung und Versorgung, dafür müssen sie tibetischer Herkunft und aus den untersten Kasten sein. Jeden Tag teile ich die Mahlzeiten und die Meditationen mit ihnen und sie wirken ausgelassen glücklich auf mich. Die Kleinsten sind gerade mal vier oder fünf Jahre alt. Mütterliche Wärme fehlt ihnen offensichtlich, manchmal suchen sich die Kleinsten ein Plätzchen zwischen den fremden erwachsenen Touristen.

Ob die Freizeitgestaltung völlig frei oder auch strukturiert ist, finde ich in der kurzen Zeit nicht heraus. Die Jungs spielen oft draußen, sind am Klettern oder Fußballspielen, aber auch das Musizieren ist nicht zu überhören.

Von meinem Zimmer aus beobachte ich, dass täglich Menschen hinter unserem Gästehaus auf einen weiteren Hügel wandern. Neugierig laufe ich an den vielen Schreinen vorbei und komme auf ein Plateau, von dem neben dem Sonnenuntergang ein großartiger Blick ins Tal und über das Kloster möglich ist. Überall hängen Gebetsfahnen, so weit das Auge reicht.

Das Aufhängen von Gebetsfahnen ist im tibetischen Buddhismus Tradition. Fünf Farben sprechen für fünf Elemente, BLAU für den Himmel, WEISS für die Luft, ROT für das Feuer, GRÜN für das Wasser und GELB für die Erde. Die Gebetsfahnen sind mit Gebeten und Mantras bedruckt und der Wind soll die Gebete dem Himmel näher bringen.

Nach einem Sonnenuntergang folgt der Sonnenaufgang. Hierfür stehe ich heute sehr früh auf, denn vom nah gelegenen Stupa gelingen die eindrucksvollsten Bilder. Ich verbringe dort einige Stunden, bis die Abrissarbeiten des alten Klosters wieder beginnen.

Das Kloster wurde von dem tibetischen Lehrmeister der buddhistischen Mahayana-Tradition Khenchen Thrangu Rinpoche gegründet. Die in 2008 neu gebaute imposante Meditationshalle ist auf dem Hügel schon aus weiter Entfernung zu erkennen.

In der Nähe der Stupas findet man eine übergroße Buddha Steinstatue, vor der seine ersten fünf Jünger knien. Zwischen ihnen steht eine steinerne Vase, die an die Geschichte erinnert, wie Buddha und seine Schüler auf wundersame Weise von Indien nach Namo Buddha kamen. In der Vase sollen sich Knochen von Buddha befinden.

Im Speisesaal bin ich nur beim Mittag und Abendbrot zu sehen, auf das Frühstück verzichte ich die 10 Tage, es ist mir einfach zu früh. Zehn Tage vegetarische Ernährung, meist Reis und Gemüse sind eine gute Abwechslung zum überflussreichen Angebot auf deutschen Speisekarten. Geschirr und Speisen werden von den jungen Mönchen verteilt und vor jedem Essen wird gesungen.

Die meiste Zeit fotografiere, schreibe oder lese ich, zeitweise nutze ich das Yogaangebot. Das Lesen ist am Tag ärmelfrei in der Sonne und am Abend nur mit warmer Weste und dicker Decke möglich. Schon morgens sitze ich an meinem offenen Fenster und genieße die Ruhe im Tal.

Bei den Mahlzeiten lerne ich Julie kennen, eine australische Lehrerin, die seit einigen Jahren immer wieder nach Namo Buddha zum Unterrichten kommt. Mit meinem schlechten Englisch bin ich bei ihrer Frage, was ich tagsüber so mache, eher verhalten und antworte meist nur mit “Nothing”. Sie lädt mich zum Spazieren ein und wir landen im einstündig entfernten Namo Buddha Resort. Dort betreibt eine Deutsche Gästezimmer und lädt in ihrem tollen Restaurant zum Essen ein.

Julie und ich wandern ein zweites Mal zum Resort und sind für ein wunderbares Abendessen eingeplant. Wir kommen mit Schweizern, Franzosen und Holländern ins Gespräch und ich freue mich wie ein Kleinkind über das opulente Essen.

2002 eröffnete Thrangu Rinpoche auch eine Schule für junge Mönche. Dazu sagt er: „Bildung ist nicht nur die Grundlage für das Glück im eigenen Leben. Man sollte auch der Menschheit und den Menschen im Land und in der Region dienen.” Es ergibt sich über Julie die Gelegenheit, am Unterricht der Mönche teilzunehmen. Julie unterrichtet Englisch und Mathematik. Zur Zeit hat die Schule mehr als 70 Schüler und 12 Lehrer. Der Unterricht wird von der ersten bis zur neunten Klasse gegeben. Alle Lehrer sind Mönche. Gelegentlich kommen Freiwillige aus dem Ausland, um zu unterrichten.

Abschied von Namo Buddha

10 Tage Klosterleben haben Spuren hinterlassen, innere Einkehr und ein Naturerlebnis, das ich in seiner Stille bisher nicht kannte. Den Morgen begrüßen und das Gefühl haben, dass die Natur mir ganz allein antwortet, diese Spiritualität lässt sich schwer in Worte fassen.

Pratik holt mich wie besprochen vom Kloster ab und wir wandern zusammen innerhalb von 2 Stunden nach Dhulikel. Wir kommen an einigen Höfen vorbei und von den Hügeln haben wir einen wunderbaren Blick ins Tal. Überall wird gebaut, sei es neu oder erneuert nach dem längst vergangenem Erdbeben.

Wir sind weit oben und nun führen uns viele Stufen, 1000 sollen es insgesamt sein, wieder hinunter vorbei an der goldenen Buddha-Statue “Shanti Ban” weiter zum Torbogen aus rotem Backstein. Dort beginnen viele Touristen ihre Tour nach Namo Buddha.

Bhakthapur, mein letztes Highlight

Angekommen in der drittgrößten Stadt Nepals, höre ich ein letztes Mal gespannt den religiösen Geschichten meines Reiseguides zu. Die Stadt wird häufig als lebendes Museum bezeichnet, die Altstadt steht unter Denkmalschutz und gehört zum Weltkulturerbe. Landwirtschaft, Töpferhandwerk und traditionelle Musik bestimmen das Bild der Stadt. Unsere erste Station ist der eindrucksvolle Tempel Wakupati Narayan Mandir am Surymadhi-Platz. Hinter dem Tempel sind an einer Wand 10 Skulpturen nebeneinander gereiht, die Gott Vishnu in den verschiedenen Formen der Inkarnation darstellen.

Wir nehmen uns Zeit für ein Mittagessen und sitzen in einem gemütlichen Restaurant mit direktem Blick auf den Dattatraya-Tempel, der früher auch als Rathaus und Versammlungsstätte diente. Hinter dem Tempel befindet sich das Pujari Math, ein hinduistisches Priesterhaus, in dessen Innenhof sich eins der schönster Fenster des Tals befindet, das hölzerne Pfauenfenster. Die Renovierung des Gebäudes war damals ein Hochzeitsgeschenk der Bundesrepublik Deutschland für den damaligen König Birendra.

Der Nyatapola-Tempel am Taumadhi-Platz ist mit seinem 30 m hohen Pagodendach der höchste Tempel in Bhaktapur. Wir schlendern durch die Gassen und ich finde endlich in einem kleinen Laden mein gewünschtes Kaschmirtuch.

Durch den goldenen Eingang gelangen wir zum ältesten Königspalast im Kathmandutal. Im Innenhof sehen wir den eindrucksvollen Brunnen „Nag Pokhari“.

Der Siddhi-Lakhshmi-Tempel am Durbar Square ist ein Tempel im Shikara-Stil, dessen Treppe mit paarweisen Wächter-Statuen versehen ist.

Zurück in Kathmandu beziehe ich wieder ein Zimmer im Summerhill Guesthouse und lasse den abendlichen Blick über die Stadt wirken. Eindrucksvolle Tage liegen hinter mir, zum Glück habe ich noch einige Wochen zum Aufarbeiten aller Erlebnisse. Asien hat mich erreicht und die Lust auf weitere Länder dieses Kontinents wächst.

Nach einem ausgiebigen Frühstück werde ich abgeholt und zum Flieger gebracht. Frankfurt werde ich gegen 18 Uhr erreichen und dann hat mich Göttingen wieder. Jede Reise hatte ihren eigenen Spirit, aber Nepal war außer der Reihe etwas ganz Spezielles. Unser Dasein auf diesem Planeten ist begrenzt und die Freude auf ein anderes Leben danach spürt man hier und wird davon angesteckt, ob man will oder nicht.

18 thoughts on “Retreat in Nepal

  1. Liebe Simone, ich habe mir Deinen Bericht und die vielen schönen Bilder angesehen. Ich bin sicher, dass Du diese Reise mit den vielen Eindrücken, die ja für uns Europäer so ganz anders sind, nie vergessen wirst. Du bist offenbar eine richtige Kosmopolitin, eine Weltbürgerin im besten Sinne des Wortes. Gratulation!

    1. Lieber Hubert, danke für deine Einschätzung. Ich danke der Welt, dass sie sich mir geöffnet hat und ich mich an vielen Orten zu Hause fühlen durfte. Das Reisefieber ist nicht gestillt, im Gegenteil, der Hunger auf weitere Orte wächst. Ich hoffe, dass ich neue Gelegenheiten zum Reisen finden werde.

    1. Liebe Helga, die Klosteranlage ist wirklich noch recht neu, der alte Komplex wird gerade abgerissen. Trotzdem ist das Leben hier sehr einfach, das Prunkvolle gilt den Göttern 😉

    1. Liebe Nooshin, ich freue mich sehr über deine Zeilen. Sicher gibt es bald die Gelegenheit, dir mehr über meine Reise persönlich zu erzählen. Namaste

  2. Namaste Simone, herzlichen Dank für Deine bildhaften Beschreibungen und wundervollen Fotos von Nepal. Ich freue mich für Dich, dass Du das alles so in Dir aufsaugst und sinnlich verarbeitest. Ich wünsche Dir eine wunderbare, innige Zeit im Himalaya. Freue mich auf ein Wiedersehen mit Dir. Liebe Grüße von Saskia

    1. Liebe Saskia, vielen Dank für die Zeilen und dein Dabeisein. Ja, der Mut des Reisens hat sich gelohnt. Das Glück anderer Menschen auf das Minimalistische reduziert zu sehen, hat den Blick auf das eigene Leben verändert. Ich freue mich auch auf ein Wiedersehen und vielleicht schaffen wir ja noch einen Glühwein auf das alte Jahr. Namaste

  3. Dear Simone, namaste, I am so happy to know, you had write a many more values about Nepal or nepali religious stories. Maybe you are good well wisher for Nepal. You are truly good writer, literature. I have seen you write a history of nepali culture and religious value of their. I think you are very good human being. Thanks for your positive thought about Nepal. Palden Lama

    1. Lieber Palden. Diese Worte machen mich sehr glücklich, herzlichen Dank. Du bist der beste Reiseguide und unsere Tour war wunderbar. Ich habe dein ganzes Wissen verschlungen und durfte dir über WhatsApp noch die eine oder andere Frage stellen. Ich bewundere eure positive Lebensart, das ist ein Geschenk. Hab Dank für die tollen Stunden und ich wünsche dir weiterhin viel Glück im Leben. Namaste

    1. Liebe Gitti, danke für deine Wünsche und wir sollten uns bald mal wieder zu einem Reiseaustausch und einem Sektchen treffen. Namaste

  4. Wow, wow, wow Tolle Bilder, interessante Berichte, spannend das alles zu lesen. Bin leider erst jetzt darauf gekommen, mal auf Deiner Seite zu stöbern. Freue mich riesig für Dich und wünsche Dir eine super spannende Zeit in Nepal. Namaste, liebe Simone

    1. Liebe Antje, es freut mich, dich hier dabei zu haben. Mein anfänglicher Bericht ist ein kleiner Vorgeschmack. Das Internet ist leider sehr sparsam und ich werde das Schreiben in Deutschland nachholen. Also schau später nochmal rein. Namaste

  5. Hallo Simone, vermutlich ist das die letzte Station Deiner Weltreise in 2018. Ich habe grossen Respekt, wie Du die vielen Erlebnisse und Begegnungen dieses Jahres verarbeitest und verkraftest. Wahrscheinlich ist das Ziel Nepal und das Leben in einem Kloster dabei hilfreich, um zum Ende dieses ereignisreichen Jahres ein bisschen zu sortieren und zur Ruhe zu kommen. Ich wünsche Dir eine gute Zeit und eine glückliche und gesunde Rückkehr. Liebe Grüsse und eine Umarmung von Christa

    1. Liebe Christa, du hast mich wie bei allen anderen Stationen genau verstanden. Ich danke dir für dein Mitgefühl und die Begleitung in einer wunderbaren Zeit. Fühl dich gedrückt und Namaste

    1. Danke Helga, dass du dabei bist. Ich freue mich über Mitleser und Interessierte. Ich kann dir später sicher detaillierter berichten. Liebe Grüße und Namaste

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